Ein ungeheures Lächeln - "Dalai Lama - Fall eines Gottkönigs" von Colin Goldner

Eine empfehlenswerte Buchrezension von Colin Goldner: Dalai Lama - Fall eines Gottkönigs, Alibri Verlag Aschaffenburg, 1999, geschrieben von Marcus Hammerschmitt. Lesen lohnt sich (jaja, ist nicht mehr ganz neu, aber ich bin zum ersten Mal drüber gestolpert - Dank geht an Instant Nirvana). Was wir hier im Westen gerne immer wieder vergessen: diese freundlich lächelnden alten Männer (egal ob es jetzt orthodoxe Bischöfe, katholische Päpste, moslemische Ayatollahs oder eben tibetanische Lamas sind) vertreten sehr alte kirchliche Strukturen. Mit sehr alten Ideen. Alt ist nicht zwangsläufig gut.

Erinnern wir uns mal daran, was Kirche bedeutet: Macht. Grosse Macht. In allen grossen Kirchen (in den kleinen sicher auch, nur halt in kleinerem Masstab) steht an oberster Stelle die Erhaltung der eigenen Macht gegenüber weltlichen Einflüssen. Staaten können demokratisch aufgebaut sein, Kirchen sind es nicht. Bestenfalls findet man Scheindemokratien.

Das Frauen in Kirchen massiv unterdrückt werden und häufig rechtslos oder gerade mal zur Vermehrung der Gläubigen ertragen werden, ist ja auch nichts neues. In vielen grossen Kirchen fehlt für Frauen etwas ganz wesentliches: die Möglichkeit für Frauen an die Spitze zu kommen, zentral leitende Stellen zu besetzen, überhaupt steuernd einzugreifen. Statt dessen dürfen sie gerade mal als Träger der Erbsünde herhalten. Oder Arbeiten verrichten - gerne auch sexuelle Dienstleistungen bringen. Kirchen sind eben eine rein männliche Veranstaltung. Schilderungen des Paradieses klingen eh oft mehr wie der letzte Ausflug ins Bordell als wie ein erstrebenswerter Zustand.

Von daher braucht es nicht zu wundern das auch der tibetanische Buddhismus eine ganze Menge Leichen im Keller hat und der freundlich lächelnde Herr aus Tibet nicht viel anders zu betrachten ist wie der freundlich lächelnde Herr aus Rom: mit grosser Vorsicht und äusserster Skepsis. Denn das Ziel der freundlich lächelnden alten Männer ist nicht das Wohl der Menschen, sondern das Wohl (und die Macht) ihrer Kirchen.

Die Ziele der Kirchen und die Ziele von frei denkenden Menschen widersprechen sich sehr oft, ja nahezu zwangsweise, da Machtgebäude von der Grösse z.B. der katholischen Kirche einfach nicht machbar wären, wenn jeder denken dürfte was er will. Ausser man ist gerade der Papst oder der Dalai Lama. Aber auch der darf nicht wie er will. Aber er will vielleicht garnicht anders.

Das Tibet des Dalai Lama ist eben nur ein religiös fundiertes Staatsgebilde. Und vor soetwas sollte man Angst haben. Egal welche Religion. Egal welche Kirche.

Hier gibts den Originalartikel.

Lothar Aug. 20, 2004, 12:17 p.m.

Du schreibst:
"Denn das Ziel der freundlich lächelnden alten Männer ist nicht das Wohl der Menschen, sondern das Wohl (und die Macht) ihrer Kirchen."

Das schreibt der Dalai Lama (Das Buch der Menschlichkeit, S.251):
"... Daher können wir alles andere von uns weisen: Religionen, Weltanschauungen, Ideologien, alle Weisheiten und alles Wissen dieser Welt, doch um Liebe und Mitgefühl kommen wir nicht herum. Und das ist meine wahre Religion, mein schlichter Glaube. Unter diesem Aspekt brauche brauche wir keine Tempel oder Kirchen, keine Moscheen oder Synagogen, keine komplizierte Philosophie, keine Doktrin, kein Dogma. Unser Herz, unser Geist - das ist der Tempel. Mitgefühl ist die doktrin. Liebe zu anderen und der Respekt vor ihrer Würde und ihren Rechten, gleichgülitig, wer oder was sie sind, das ist letztlich alles, was wir brauchen. ..."



hugo Aug. 20, 2004, 10:35 p.m.

Nichts desto trotz _ist_ er das Oberhaupt einer Kirche, die sich einen eigenen Staat hält. Und hat sich auch noch nie gegen die Praktiken dieser Kirche ausgesprochen oder sich von der Machtposition, die diese Kirche darstellt, distanziert.

Reden kann man viel, die Frage ist, wie man handelt. Davon zu reden man bräuchte keine Kirche, aber weiter der Chef einer solchen zu sein - das ist wie wenn der Papst von Menschlichkeit redet ...

Lothar Aug. 21, 2004, 12:05 a.m.

Sorry, aber ich kann im Dalai Lama keinen schlechten Menschen sehen.

hugo Aug. 21, 2004, 10:36 a.m.

Denn guck genauer hin. Bei manchen Menschen ist nicht so wichtig was sie sagen, sondern was sie nicht sagen.

Lies dazu einfach mal die an meinem Artikel verlinkte Buchrezension von Marcus Hammerschmidt (der von Instant Nirvana) durch. Oder auch gleich das Buch von Colin Goldner.

Lothar Aug. 21, 2004, 12:01 p.m.

Egal was der Mann zu verantworten hat, durch seine Bücher entstehen bessere Menschen.

hugo Aug. 21, 2004, 1:28 p.m.

Oha, das ist ein stark vereinfachtes Weltbild. Mich interessiert sehr wohl was ein Mensch zu verantworten hat - schliesslich ist der ganze Kontext eines Menschen die Antwort auf die Frage "warum macht er das?". Und die Antwort auf diese Frage ist sehr wichtig - denn letztendlich kann jeder alles sagen, die Frage ist eben was er damit bezweckt, was sein Ziel ist.

In vielen Punkten sind die Kirchenführer einfach nur PR-Maschinen, die ein möglichst positives Bild ihrer Organisation zeichnen und die negativen Aspekte ausblenden. Viele Elaborate aus dem Scientology-Umfeld klingen auch auf den ersten Blick nett und harmlos und viele Menschen sagen, das sie dadurch zu besseren Menschen wurden. Letzendlich steckt aber eine faschistische Organisation dahinter, deren Ziel die Unterdrückung des freien Willen des Einzelnen ist.

Stellt man die Frage nach dem "Warum" nicht, erkennt man das Ziel nicht und fällt viel zu leicht auf Propaganda herein. Der Dalei Lama ist einfach nur wesentlich geschickter als viele andere Kirchenvertreter. Aber selbstverständlich hat er eine Agenda, die er verfolgt - und genau das meine ich mit meinem Spruch den du eingangs zitiert hast:

"Denn das Ziel der freundlich lächelnden alten Männer ist nicht das Wohl der Menschen, sondern das Wohl (und die Macht) ihrer Kirchen."

Und dieses Ziel sollte man _nie_ ausblenden, wenn man sich mit den "Lehren" dieser freundlich lächelnden alten Männer beschäftigt.

Es ist eben genau so wie es Terry Prattchett sagt: die freundlich lächelnden alten Männer sind die gefährlichsten von allen.

Lothar Aug. 21, 2004, 2:40 p.m.

In seinen Bücher ruft der Dalai Lama zu Liebe, Mitgefühl, Freundlichkeit und Respekt auf. Möglicherweise hat der Dalai Lama sich falsch verhalten oder verhält sich immer noch falsch, aber werden die Texte seiner Bücher dadurch weniger richtig?

hugo Aug. 21, 2004, 8:21 p.m.

Ich kann sagen "ich lieben alle Menschen", weil ich alle Menschen liebe. Ich kann sagen "ich liebe alle Menschen", weil ich die Spenden dieser Menschen haben will (nahezu jeder Fernsehprediger). Ich kann sagen "ich liebe alle Menschen", weil ich von begangenem Unrecht ablenken will (Stichwort Miehlke im DDR-Stasi-Prozess).

Die Wörter sind die gleichen, aber die Absicht ist grundsätzlich unterschiedlich. Nur in einem der Fälle ist das was gesagt wird, auch das was du hörst. In den beiden anderen Fällen ist viel mehr hinter der Aussage versteckt - und die Aussage hinter der Aussage kannst du nur über den Kontext eines Menschen verstehen (nämlich dadurch, das es Miehlke ist, oder eben ein Fernsehprediger, der das sagt).

Vielleicht wird es jetzt klarer, was mein Problem mit dem Dalei Lama (und nahezu jedem anderen Vertreter einer Kirche) ist. Die Aussage hinter der Aussage ist immer da - auch wenn viele Menschen diese ausblenden. Ich will aber wissen, ob der Fernsehprediger nur mein Geld will, oder ob der Stasi-Chef einfach nur ablenken will.

Es mag sogar durchaus sein, das Miehlke fest davon überzeugt war, das er wirklich die Menschen liebt. Auch der Fernsehprediger ist vielleicht davon überzeugt, das ein Gott durch ihn spricht. Nichtsdestotrotz ist der Kontext da und der Kontext ist falsch.

Ich bin fest davon überzeugt, das manche Politiker den Unfug glauben den sie sagen (natürlich sind auch viele dabei, die ganz genau wissen das sie Tinnef reden - und vermutlich ist dieser Schlag Politiker weit verbreiteter). Trotzdem bleibt eben der Kontext bestehen - ein Politiker, der primär am Machterhalt seiner Partei interessiert ist, nicht am Wohl der Gesellschaft, allenfalls am Wohl einzelner Bereiche der Gesellschaft (die, die ihn stützen).

Kirchenvertreter sind aber nichts weiter als Politiker und Verkäufer. Sie haben einen Kontext. Und diesen Kontext _muss_ man bei jedem Satz beachten, den sie sagen. Niemand ist das Oberhaupt einer Kirche, ohne das er sehr genau überlegt was er warum sagt. Und genau das sollte jeder Leser und Hörer auch tun: überlegen, warum derjenige das sagt, was er sagt. Denn erst wenn man die Aussage hinter der Aussage versteht weiss man was _wirklich_ gesagt wurde.

Und ja, das verleidet einem manchmal das Lesen mancher Bücher - eben _weil_ man den Kontext berücksichtigt und dann der Text deutlich anders klingt, auch wenn man die gleichen Wörter liest, wie jemand der den Kontext ausblendet.

hugo Jan. 19, 2006, 8:28 a.m.

Bevor hier noch jemand wieder meint, irgendwelche Belege dafür posten zu müssen, Colin Goldner wäre vor Gericht als "verblendeter Fanatiker" abgestempelt worden - hier mal ein Link auf eine Dokumentation der ganzen Geschichte, mit Hinweisen darauf, wer die Klagenden und Gutachter so sind und wie sie mit dem ganzen zusammenhängen. Und wie es zu dieser absurden Situation überhaupt gekommen ist.

Colin Goldner vs. Ursache&Wirkung Verlag