Second Life - warum?

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Weil sich in letzter Zeit ja auch in der deutschen Blog-Szene Leute mit Second Life beschäftigen, und weil natürlich wieder die Bedenkenträger und Nichtversteher sich äußern und alle meinen eine Meinung zu haben - ohne tatsächlich mal tiefer in die Materie einzusteigen (teilweise auch schlichtweg sagen das sie das garnicht vor haben, aber eine Meinung hat man natürlich trotzdem), mal was von jemandem dazu, der seit Februar 2006 sein zweites Leben da hat.

Was ist Second Life? Kennt noch jemand die MUD und MOO? Text-basierte Plattformen für Online-Rollenspiele mit vielen Usern, anstelle vielen doofen Computer-gesteuerten Monstern? So Gegenden, wo der Troll unter der Brücke dann von einem andren Menschen gespielt wurde und man tatsächlich über den Brückenpreis feilschen konnte? Nicht? Ok, dann wird die Erklärung schwerer lachendes Gesicht

Second Life könnte man kurz als Online-Chat mit Drei-D-Welt bezeichnen. Beschreibt die Technik - aber nicht den Inhalt. Man könnte es als virtuelle Welt bezeichnen - aber da fehlt einiges an immersiven Konzepten. Man könnte es auch als 3D-Konstruktions-Plattform bezeichnen - aber eine in der andere Leute rumrennen. Oder natürlich als grössten virtuellen Sex-Spielplatz der Welt - wobei da aber erstaunlich viel non-Sex stattfindet. Musik-Plattform für gemeinsame Internet-Life-Musik-Events? Auch ein Aspekt. Business-Plattform mit Mikropayment? Jau, auch da.

Second Life ist das, was die User daraus machen. Ganz einfach. Wer keine Ideen mitbringt und es von vornherein öde und doof findet - naja, der wird auch genau das dort vorfinden. Ödnis und Doofheit (hey, und davon gibts tonnenweise!). Genau das macht aber den Charm aus - Second Life ist eine Plattform. Nicht ein fertiges Spiel. Hier wird niemandem etwas vorgesetzt, ohne eigenes Engagement kommt da nix.

Was hat die Plattform alles?

  • Mikropayment auf Basis des konvertierbaren Linden Dollar (ca. 270 L$ sind ein US$) mit Transaktionshistory und anderen notwendigen Grundfunktionen
  • Kommunikationssystem mit lokalem Chat (im Sinne von miteinander in einer Gegend stehenden Avataren), Instant Messaging (Verbindung ausserhalb des Systems leider immer noch nur sehr hakelig) und Gruppen-Werkzeugen für klassische Gruppenbildung
  • 3D Konstruktionswerkzeuge für relative einfache Erstellung von 3D-Modellen
  • volle Fähigkeit des Scriptens dieser 3D-Modelle zur Erstellung von Interaktionen, Bewegungsmodellen etc.
  • Physiksimulation (nur Havoc 1 - ziemlich minimal) für Objekte die aus bis zu 31 Grundbausteinen bestehen dürfen (wird auch für die Avatare angewendet)
  • Fahrzeug-Simulation über diverse Fahrzeug-Modelle und Parameter
  • grundsätzliche Combat-Funktionen zur Realisierung von Shootern
  • Social-Networking-Funktionen über Profile und Friendslists
  • freie Konfigurierbarkeit des Avatars über einfache Slidersysteme und optionale Attachments (und ja, einige Körperteile werden durch Attachments realisiert zwinkerndes Gesicht)

Das war jetzt mal so aus dem Kopf heraus die Sachen, die mir eingefallen sind. Ich hab sicherlich eine Menge noch vergessen. Das Spannende sind auch nicht die Features selber - sondern die Integration der Features (Combat mit Flugzeugen die man selbst gebaut hat anyone?), und die Nutzung der ganzen Werkzeuge in einer Welt mit anderen Benutzern.

Dieser Aspekt der "Welt" muss näher erläutert werden. Denn in anderen Systemen ist oft der Avatar an eine Welt gebunden - bei WoW kann man zum Beispiel einen Avatar transferieren lassen, aber das ist nicht einfach ein Spaziergang. In Second Life bilden alle Regionen (Simulators, kurz Sim genannt) eine kontinuierliche Weltkarte. Grosse Teile der Sims sind in Kontinenten zusammengefasst - hier spaziert ein Avatar mit aller Ausrüstung und allen Teilen einfach über die Grenze in eine andere Sim. Und wir reden hier von tausenden Sims (wobei eine Sim 256x256 "Meter" umfasst). Die Kontinente sind von Lindenlab (dem Hersteller) aufgebaut (zwei grosse Kontinente, einer im Norden, einer im Süden) oder von Benutzern die ganze Firmen aufgebaut haben darum (Dreamland und Otherland sind wohl die grössten).

Andere Sims sind isoliert oder in kleinen Gruppen als Inseln realisiert - haben keine direkte Verbindung zu den Kontinenten, können aber über Teleportation jederzeit von jedem erreicht werden. Ein nettes Beispiel ist Caledon - eine Insel aus mitlerweile 13 Sims im viktorianischen Thema gehalten. Die Inseln sind in der Regel in Privatbesitz oder gehören zu Firmenpräsenzen (IBM hat 12 Sims als Insel ganz in der Nähe von Caledon angelegt).

Der Zugang zum System selber ist frei - Benutzer können sehr viel machen ohne irgendwas zu bezahlen. Was da so einfällt:

  • Besuch von Musik-Konzerten (dazu später mehr)
  • Erforschen der Gegend (wobei leider auf den Kontinenten oft Sperren aufgestellt werden, so das dort das Erforschen oft hakelig ist)
  • Bauen in sogenannten Sandboxes - Sims, in denen die Objekterstellung freigegeben ist für jedermann und auch genug Resourcen zum Bauen verfügbar sind (dazu später mehr)
  • normale Chatfunktionalität und Gruppenbildung - es gibt für alles und jedes Interessengruppen in SL
  • abgraben der Freebie-Shops in denen man für Umme eine ganze Menge Sachen findet, mit denen man spielen kann
  • Programmieren von Scripten und Spielen mit den Vehikel-Funktionen, der Physiksimulation etc.
  • cybersex in freien Sexclubs zwinkerndes Gesicht

Manche Sachen kosten natürlich Geld - wenn man in Shops von Usern etwas kaufen will, muss man bezahlen. Texturen-Upload kostet einen geringen Obulus. Und Land - Land ist die Resource in SL schlechthin und kostet Geld.

Wichtig beim Shopping - alles in SL, auch die Shops und die Inhalte dieser, ist von andren Benutzern erzeugt. Zwar haben auch die Lindenlab-Leute (Linden als Nachname) Inhalte erstellt, aber die sind in der Minderzahl zu den Inhalten von Benutzern. Alle Sims, alle Welten, viele Kontinente und Inseln - nahezu alles was man sieht, Städte, Straßen, Klamotten, Fahrzeuge, Flugzeuge, Avatare - alles von Benutzern erstellt. Shops gehören andren Benutzern und man kauft seine Avatar-Kleidung von diesen - nicht von Lindenlab.

Anders sieht es mit Texturen-Uploads aus - die Zahlung geht an Lindenlab. Land ist zweigeteilt - die Kontinente von Lindenlab werden natürlich an Lindenlab bezahlt, die auf Benutzer-Sims werden an deren Besitzer bezahlt.

Wozu braucht man Land? Land ist die Grundlage für die wichtigste Resource in Second Life: die Prims. Prims sind die Grundbausteine aus denen alle gebauten Elemente bestehen. Jedes Haus, jedes Flugzeug, Waffen, Bierkrüge, Weinfässer, Stühle, Tische - alles besteht aus Prims. Land definiert die Anzahl an Prims die jemand in einer Sim benutzen darf. Die Grundanzahl ist 117 Prims für 512 Quadratmeter - grössere Landmengen entsprechend mehr. Eine volle Sim kann maximal 15000 Prims belegen, dann ist Schicht. Wer also Dinge bauen will, braucht Zugang zu Land, auf dem entsprechend Prims frei sind - das sind zum einen die eigenen Ländereien, zum Anderen (wie oben gesagt) die Sandboxes. In Sandboxes stehen in der Regel ein paar Tausend Prims zur freien Benutzung, die Region wird regelmäßig geräumt. Wer etwas dauerhaft hinstellen will, muss Land besitzen.

Land bekommt man von Lindenlab oder anderen Benutzern. Land kann Lindenland sein - dann zahlt man einmalig an den derzeitigen Besitzer einen Kaufpreis und monatlich "Steuern" an Lindenlab (für den Kostenanteil am Hosting sozusagen). Oder man kann Land auf privaten Sims bekommen, da gehen beide Zahlungen an den Besitzer (und der bezahlt für die Sim an Lindenlab). Oder man mietet irgendwo - dann geht auch das Geld an den Besitzer, man selber ist in dem Sinne aber eben nur Mieter (dafür ist reine Miete manchmal günstiger zu kriegen, man teilt sich oft aber die Prims mit mehreren).

Keine Lust zu Bauen? Kein Interesse an 3D-Konstruktion? Wie wäre es dann mit Musik? In Second Life haben sich eine Menge Leute eingefunden, die Musik machen - und zwar Life. Dazu spielt der Musiker bei sich zu Hause und schickt die Musik per Mikrofon und Shoutcast-Plugin (Apple-User nehmen gerne Nicecast, Windows User Outcast oder Winamp, Linux-User Icecast) auf einen im Netz stehenden Shoutcast-Server. Die URL des Streams auf diesem Shoutcast-Server wird in den Einstellungen der Landparzelle auf der der Musiker spielt eingestellt (für Musik braucht man also auch Land - aber es gibt eine Menge freier Musik-Clubs). Wenn ein Benutzer auf diese Parzelle geht, wird der Stream angeboten und über Quicktime dann abgespielt. Zusammen mit anderen Benutzern in der gleichen Ecke kann man dann gemeinsam Musik hören, darüber diskutieren, rumblödeln - halt das, was man in der realen Welt auch täte. Nur das man vielleicht hier mit Australiern, Japanern, Amerikanern und Europäern gemeinsam an einer Stelle hockt und gemeinsam Musik hört ...

Man kann natürlich auch SL einfach als Puppenhaus betrachten und seinen Avatar ausstatten, shopping gehen (kostet Geld, aber man kann Jobs annehmen oder einfach harte Währung in Linden$ umwandeln) und damit seinen Spaß haben. Puppenhäuser sind ja nicht sowas ungewöhnliches, und ein virtuelles braucht man nicht wegzuräumen zwinkerndes Gesicht

Ich hatte schon mehrfach auf cybersex hingewiesen, werd da nicht näher drauf eingehen, ich denke jeder weiss wie das funktioniert. Und wenn nicht, vielleicht ist Second Life mit seiner bedingten Anonymität mal die Gelegenheit es auszuprobieren zwinkerndes Gesicht

Business ist natürlich gerade ausserhalb von SL sehr beliebtes Thema - manchma könnte man meinen es gäbe nix anderes neben cybersex dort. Stimmt auf die eine Art, stimmt aber auch nicht - wie schon gezeigt, es gibt massig mehr dort zu tun. Aber wenn man ein Business will, was macht man?

  • Grafiker und Maler verkaufen digitale Reproduktionen ihrer Werke in Second Life. Es gibt mehrere Regionen die sich ganz der Unterstützung von Künstlern widmen. Einer meiner Lieblingsmaler in Second Life ist Filthy Fluno - witziger Typ, klasse Malerei.
  • Modedesigner (und Leute mit einem Händchen für das Thema) statten die virtuelle Puppenkiste mit Kleidung aus. Und manche von den Sachen sind wirklich erstaunlich.
  • Bobby Fairweather hat SecondTunes gestartet - ein Weg für Musiker, ihre Musik in Second Life zu verkaufen.
  • Leute mit Faible für bestimmte Zeiten bauen Repliken von historischen Möbeln oder Gebäuden und verkaufen diese
  • Scripter und Hacker verkaufen Gadgets aller Art - von Waffen für die Combat-Gegenden über nütliche Helfer hin zu allen möglichen wilden Sachen (z.B. ein Animationssystem für prim-basierte Skulpturen, Modell-Eisenbahnen)
  • Segelschiffe, Yachten, Autos, Flugzeuge - im Vehikelbereich gibt es eine ganze Menge Anbieter, die dort nette Sachen liefern
  • die Utensilien für den mehrfach erwähten cybersex sollen auch ganz gut gehen zwinkerndes Gesicht

Kann man von Business in Second Life leben? Ja. Definitiv. Es ist eine Menge Arbeit, aber ich weiss von einigen, die da ihre Haupteinnahmequelle haben. Und wir reden hier von durchaus erklecklichen Beträgen, von denen man ganz gut schon leben kann. Aber es ist eine Schweinearbeit. Die meisten werden eher das ganze aus Spaß machen oder als kleinen Beitrag um zumindestens umsonst Landbesitz zu haben.

Wer also sagt, das man in Second Life nix machen kann, das es eh alles Unfug ist oder nur Kommerziell oder sowieso nur ein Marketing-Gag - naja, der hat schlicht nicht reingeguckt, sich nicht näher damit beschäftigt. Zu fragen was man dort tun kann ist wie zu fragen was man im normalen Leben tun kann - nur das es in Second Life viele Beschränkungen aus dem realen Leben nicht gibt. Es gibt auch kaum Regeln außer den Terms of Service - man muss seinen Platz schon selber finden, da wird nicht viel vorgegeben.

Das System ist komplex, die Software oft buggy und hakelt, Crashes kommen vor, Downtimes der Server, Probleme mit den Werkzeugen - alles richtig. Trotzdem macht es Spaß, wenn man sich vor Augen führt, was man dort alles erlebt hat, wenn man eine Weile dabei ist. Es frisst Zeit - von daher sollte man es sich schon überlegen, ob das wirklich das ist, was man will. Denn einmal richtig eingestiegen lässt es nur schwer wieder los.

Was mache ich in Second Life? Bauen, Musik-Events (manchmal Organisation, oft Teilnahme), DJ, und stundenlang quatschen. Aber am meisten definitiv Bauen. Ich bin Inworlder - trenne zwischen Drinnen und Draußen, daher hier auch keine Hinweise auf meine Inworld-Existenz. Ich verstecke sie nicht, aber halte schon die Grenze zwischen beiden Seiten aufrecht. Andere sehen das anders und verbinden beide Seiten sehr stark - das gilt vor allem natürlich für Künstler, Musiker etc., aber auch für Business-Leute.

Aber was immer man dort macht, das Mantra "Have Fun" sollte ganz oben stehen.

Und den Kritikern: wenn ihr nicht bereit seid dort Spaß haben zu wollen, erwartet nicht, welchen zu finden oder zu sehen. Ich hab kein Problem damit, das ihr keinen Sinn in Second Life seht - ich sehe ja auch keinen Sinn in diesen ewig öden Meta-Diskussionen über den Sinn von Blogging oder in der affektierten Selbstbeweihräucherung einiger Alpha-Blogger (oder solcher die sich dafür halten zwinkerndes Gesicht). Allerdings versuche ich auch nicht jedem zu erzählen wie doof sein Hobby ist. Das er eh nur dämlich ist weil er macht was er macht und das sowieso nur Soziopathen und Geschädigte das machen können ...

Man könnte auch Dieter Nuhr zitieren: "wenn man keine Ahnung hast: einfach mal Fresse halten" lachendes Gesicht

tags: SecondLife, Spiel

Michael Wald Jan. 20, 2007, 3:06 a.m.

Recht so ;-)
Super Artikel !


Juergen Daust Feb. 2, 2007, 4:12 p.m.

Wirklich gute Zusammenfassung der Aspekte - Respekt !

Martin March 18, 2007, 4:46 p.m.

*lach* wunderbarer Artikel. Vor allem wird hier mal einiges sehr einfach und gut verständlich dargestellt.