Stigmatisierung von Jugendlichen schon in den Zeugnissen

Ganz toll, NRW kriegt wieder Kopfnoten:

Bewerten sollen die Lehrer nach den Plänen der nordrhein-westfälischen Landesregierung das "Arbeits- und Sozialverhalten" der Schülerinnen und Schüler, und zwar verbindlich für alle Klassen bis einschließlich der zehnten. Punkte wie "Lern- und Leistungsbereitschaft" und "Verantwortungsbereitschaft und Selbständigkeit" sollen mit klassischen Schulnoten von "sehr gut" bis "ungenügend" benotet werden. Im Zeugnis sollen aber auch Eigenschaften wie "Ausdauer und Belastbarkeit" und "Kooperationsfähigkeit und Teamfähigkeit" genannt werden, ebenso besonderes schulisches und außerschulisches Engagement wie ehrenamtliche Mitarbeit in Jugendgruppen.

Damit Schüler schon in der Schule möglichst angepasst sind. Du engagierst dich politisch, aber leider in einer anderen Richtung als deine Lehrer? Egal, kriegste halt ne schlechte Note im Sozialverhalten. Was, du kriegst dafür dann später keinen Job, weil dich keiner will? Macht ja nix, gibt ja schon hunderttausende arbeitslose Jugendliche, da kann man dich gleich mit reinstecken. Du willst dich nicht in Kirchengruppen oder ähnlichem engagieren, weil diese ganzen Gruppen in deinem Kaff eh alles nur Kreuzfanatiker sind? Egal, schlechte Noten im ausserschulischen Engagement sind sicherlich kein Problem bei der Jobsuche. Was, du hast Probleme mit deinen Mitschülern und wirst von denen ausgegrenzt, z.B. weil denen deine Hautfarbe oder Nasenform nicht passt? Du bist eben nicht kooperativ genug und nicht teamfähig.

Es gibt gute Gründe, warum diese unsäglichen Kopfnoten rausgeflogen sind. Sozialverhalten ist nämlich schlichtweg nicht mit Noten bewertbar - noch viel weniger als Wissen oder Leistung (da ist schon die Konzentration auf wenige Schlüsselmomente im Schuljahr ein Problem - das wirkliche Wissen wird nicht bewertet, sondern die Leistungsfähigkeit an den Klausurzeitpunkten).

Aber natürlich sind sie unsagbar praktisch, wenn man angepasste Duckmäuser züchten möchte. "Kind, mach bloss keinen Ärger in der Schule, die Note für soziales Betragen kann über deinen späteren Job entscheiden" - ich hör schon so manche Eltern ihre Kinder "einnorden". Linke Jugendgruppe? Nix da, Jobgefährdend. Ausrutscher im Leben? Katastrophe, kann nur mit mehrjährigem Arschkriechen beim Lehrer ausgebügelt werden.

Oh ja, wir kriegen das beste Schulsystem Deutschlands in NRW. Fragt sich nur, für wen das Schulsystem das beste sein soll - für die Schüler wohl nicht trauriges Gesicht

tags: NRW

popel Jan. 25, 2006, 3:25 p.m.

Ja wunderbar. Das sind wieder die hocheffektiven Massnahmen, die nix kosten.
Von den wirklich effektiven Massnahmen hab ich aber wieder nix gehört:
* kleinere Klassenstärken (10)
* fundierte pädagogische Ausbildung für Lehrer
* Fortbildungsmassnahmen für Lehrer (4 Wochen pro Jahr minimum)
* ...

Auch zur Bewertung in der Schule überhaupt fällt mir immer nur eins ein: Benotet wir nur künstliche Intelligenz, keine Intelligenz.
Oder anders: Wer auswendig lernt gewinnt. Da wird man dann schliesslich auch ein toller Jurist.

Zu Kopfnoten fällt mir dann mal meine Situation ein:
Bayern, Land, kleines Dorf, Atheist und Mutter bis 97 SPD Mitglied.
Der Schulpfarrer mochte mich richtig gerne ;=)









Jutta Wrage Jan. 26, 2006, 12:44 a.m.

Letzendlich nur eine konsequente Fortsetzung einer Bildungspolitik, die zu der jetztigen Ellenbogengesellschaft geführt hat.

@popel: wo kämen wir denn da hin, wenn man jetzt plötzlich doch kleinere Klassen einführte und all unsere anderen Forderungen zur Bildungspolitik aus den siebzigern umsetzte? Das wäre ja Kommunismus und das Kind vom Hartz-IV-Empfänger hätte plötzlich auch eine Chance. Die Bildungspolitik hat sich doch gelohnt, jedenfalls für einige...